oder: 3 Wege, Yoga auf der Matte UND im Alltag zu praktizieren
Ich unterrichte nun seit knapp 18 Jahren Yoga. Und dennoch erlebe ich die Weisheit dieser alten Wissenschaft jeden Tag aufs Neue. Es gibt da einen Aphorismus aus einer tantrischen Schrift (Kularnava Tantra), der meine Yogapraxis und meine Einstellung zum Leben revolutioniert hat. Der Vers 14.38 besagt sinngemäß: „Befindet sich der Suchende in Einklang/Ausrichtung mit der Natur, ist er bereit, offen und fähig, den Fluss des Lebens als Gnade, als Glück zu erkennen.“
Das heißt, dass mit unserer persönlichen Ausrichtung (körperlich, geistig und seelisch) die Fähigkeit und Sensibilität steigt, unsere individuelle Wahrheit und Großartigkeit zu erkennen. Glück ist laut besagtem Aphorismus – und das kann ich bestätigen – absolut und unmittelbar mit der eigenen Ausrichtung und Einstellung zur Umwelt verbunden. Die Praxis der korrekten Ausrichtung wird im Anusara Yoga (der Yoga-Stil, den ich vorwiegend praktiziere) „Alignment“ genannt.
Prof. Gerald Hüther beschreibt hier den Begriff der „Kohärenz“: die Sinnhaftigkeit der Zusammenhänge zu erkennen und dadurch in einen Zustand der Zufriedenheit zu gelangen. Jedes Leben strebt nach diesem Moment, in dem Denken, Spüren und Handeln eine Einheit bilden. Es ist kein Augenblick des Stillstandes, sondern ein Moment des Handelns, der Bewegung, der persönlichen Weiterentwicklung. Der Moment, in dem man sich so richtig gut und sicher fühlt.
Eine gute Yogapraxis sollte Sie genau dorthin bringen: dass Sie den Körper optimal ausrichten (alignen) und dadurch körperlich, mental und emotional einen Schritt in Richtung Kohärenz gehen. Die Veränderung in der Wahrnehmung ist meist schon nach wenigen Yoga-Einheiten spürbar.
Drei konkrete Schritte für Ihre Yoga-Praxis – auf und abseits der Matte:
Manche Yoga-Praktizierende fokussieren ihre Praxis auf körperliche Themenfelder, andere auf Selbstverwirklichung, wieder andere auf Schulung des Geistes. Für mich gibt es hier keinen Unterschied. Der Einstieg in die Welt des Yoga passiert im Westen oft über Anatomie, Kinästhetik, also Yoga-Positionen. Diese „körperliche Arbeit” ist jedoch untrennbar verflochten mit dem Geist. Körperliche und feinstoffliche Anatomie interagieren miteinander; die emotionale Haltung bedingt die körperliche Haltung und umgekehrt.
Ich möchte Ihnen hier einen hocheffektiven und dennoch sehr einfachen 3-Schritte-Fahrplan vorstellen. Alle drei Schritte beginnen im Englischen mit „A“, wir sagen dazu die 3A’s:
- Attitude – Einstellung
- Alignment – Ausrichtung
- Action – Handeln
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Attitude – Einstellung
Die Einstellung bezeichnet die spirituelle oder emotionale Beziehung, die wir mit der Umwelt, mit der Welt an sich oder zueinander haben. Der Geist, die Qualität der Gedanken und Emotionen, sind immer als Erstes zu beachten.
Zum Beispiel: ein Herz ist gebrochen, eine Beziehung ist zu Ende. Körperlich betrachtet fallen in dieser emotionalen Trauersituation die Schultern nach vorne, der Oberkörper sackt in sich zusammen, der Kopf wird schwer. Betroffene erfahren dieses körperliche Fehl-Alignment dann zum Beispiel als Nackenschmerzen, als Tinnitus, Migräne, Kraftlosigkeit usw. Wenn wir Schultern und Nacken wieder in eine aufrechte Ausrichtung bringen, hilft das der Seele bis zu einem gewissen Grad, aber: solange die innere Einstellung nicht geändert wird, kann die richtige Ausrichtung nicht alles heilen. Die Energie der Trauer wird die Schultern weiterhin aus der wohltuenden Ausrichtung herausziehen und wir müssen uns wieder und wieder „alignen“.
Ganz gleich, ob wir nun eine Yogaposition ausführen oder im Alltag agieren – es gilt, unsere Einstellung dazu zu beobachten und gegebenenfalls zu verändern. Ein Beispiel: wir können sagen: „Die Rinde dieses Baumes ist so faltig, sie ist hässlich.“ Oder wir sagen: „Die Rinde dieses Baumes ist so faltig, sie sieht großartig und besonders aus.“ Die Rinde wird immer die Rinde bleiben, doch in unseren Augen wird sie sich verändern. Im Yoga nennen wir das Darshana: den Blickwinkel, die Betrachtungsweise. Wir haben die Wahl, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken, und mit einem Ja von innen werden die Schultern ohne großen Kraftaufwand gut ausgerichtet bleiben.
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Alignment – Ausrichtung
Darunter versteht man die optimale Ausrichtung des Körpers, sodass er Sie schmerzfrei, kraftvoll und lebensbejahend durch den Fluss des Lebens trägt. Um beim vorherigen Beispiel des gebrochenen Herzens zu bleiben: Die Schulterblätter werden wieder am Rücken angelegt, das Brustbein gehoben, um so eine tiefe Atmung, eine aufrechte und strahlende Haltung zu erlangen. Das kann sich zunächst unangenehm und ungewohnt anfühlen. Trotzdem wird es dem Körper und der gesamten Ausstrahlung guttun. Die Kraft und Freiheit die wir unserem Körper mit einer guten Ausrichtung schenken, darf dann nach außen in die Umsetzung, die Aktion gehen. Ein guter Yogalehrer / eine gute Yogalehrerin wird in der Lage sein Sie in einer Yogaklasse in eine ganzheitliche positive Ausrichtung zu führen.
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Action – Handeln
Wir praktizieren Yoga, um die richtige Einstellung und Ausrichtung in unser Leben einzubetten. Durch eine Alignment-orientierte Yoga-Praxis entsteht ein natürlicher Energiefluss im Körper, der uns sowohl Stabilität, als auch freudige Freiheit wahrnehmen lässt. Sobald wir in der Lage sind, diese Aktionen im eigenen Körper zu spüren, werden sich dieselben Qualitäten (Stabilität und Freiheit) auch im Geist manifestieren. Wir werden mehr und mehr in der Lage sein unser Potential auch abseits der Yogamatte zu entfalten.
Es gilt, alle drei Schritte (Attitude, Alignment, Action) gleichzeitig zu praktizieren: Die Einstellung überprüfen, den Körper ausrichten um dann die aufgebauten Energie-Ressourcen in Aktion bringen.
Und genau DAS üben wir in der Yogapraxis auf der Matte. So wie sich Eindrücke und Emotionen in unserer Körperhaltung manifestieren, können wir über Körperhaltung und gute Ausrichtung den Geist weit und offen werden lassen für all die Möglichkeiten und Potentiale die uns das Leben bietet.
Bis bald auf der Matte!
Mehr über Anusara Yoga findest du hier.
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